Gedanken des Familienbundes zur weiteren Gestaltung der Kindergrundsicherung

· Stellungnahmen · Steuern, Transfers, soziale Sicherung

In den zurückliegenden Monaten war die politische Diskussion um die Kindergrundsicherung vor allem durch den Streit um die Kosten der geplanten Reform geprägt. In diesem Konflikt blieb bisher offenbar nur wenig Zeit für die Detailarbeit und für die Entwicklung gemeinsamer inhaltlicher Eckpunkte, die eine Ahnung von der zukünftigen Gestaltung der „wichtigsten sozialpolitischen Reform“ der Ampelregierung geben könnten. Gleichzeitig wird seitens des Familienministeriums bereits an einem Gesetzentwurf für die Kindergrund-sicherung gearbeitet, der an einigen Stellen voraussichtlich verschiedene Varianten aufweisen wird. Bis Ende August soll eine solche Grundlage für die regierungsinterne Abstimmung vorliegen. Insgesamt wirft der öffentliche Streit innerhalb der Bundesregierung, der bisher an den familienpolitischen Kernproblemen eher vorbeiging, kein gutes Licht auf die Umsetzung der groß angekündigten und mit vielen Erwartungen verbundenen Reform.
Zum anderen steht der Begriff Kindergrundsicherung selbst nicht für ein klar umrissenes Konzept, sondern versammelt unterschiedliche Modelle zur finanziellen Absicherung des Kinderexistenzminimums außerhalb der bisherigen Grundsicherungssysteme. Daher ist es umso wichtiger, genau hinzuschauen, was sich hinter dem Namen verbirgt. Der Familienbund hat mit dem reformierten Kindergeld ein eigenes Konzept zur besseren Förderung von Familien, gerade mit geringem Einkommen, entwickelt. Obwohl er den Begriff des (existenz-sichernden) Kindergeldes für geeigneter hält als den aus dem Sozialrecht entlehnten und ordnungspolitisch missverständlichen Begriff der Kindergrundsicherung, ist im Ergebnis das politische Etikett weniger entscheidend als die Frage, ob die geplante Familienleistung stimmig ist und die Situation der Familien tatsächlich verbessert. Das vorliegende Papier richtet den Blick daher noch einmal auf die politischen Kernziele der Reform und will kritisch-konstruktiv zu einer bestmöglichen Umsetzung dieser Leitlinien anregen.

Ziel 1: Vor Armut schützen

Aus Sicht des Familienbunds der Katholiken ist es bedauerlich, dass nach wie vor ein finanziell unterlegtes Bekenntnis der gesamten Regierung zum Schutz von Kindern und Familien vor Armut fehlt. Auch in Zeiten vermeintlich knapper Kassen ist das vor allem eine Frage der politischen Prioritätensetzung und eine von der gesamten Gesellschaft zu bewältigende Aufgabe. Es muss hier nicht erneut betont werden, dass Ausgaben für das gute Aufwachsen von Kindern keine verlorenen Kosten, sondern Investitionen sind, die sich in der Zukunft auch wirtschaftlich auszahlen werden. Zugleich führen Armut und fehlende Bildungschancen von Kindern zu Folgekosten, die erheblich über den für eine armutsvermeidende Unterstützung im Kindesalter anfallenden Kosten liegen werden.
Zur Gegenfinanzierung der Kindergrundsicherung lehnt der Familienbund Kürzungen beim Kinderfreibetrag, der für eine verfassungsgemäße Besteuerung nach Leistungsfähigkeit erforderlich und Grundbedingung eines fairen Steuersystems ist, ebenso ab wie Streichungen bei anderen gegenwärtigen Leistungen für Familien. Die Reform darf nicht durch Umverteilung zwischen den Familien, sondern muss mittels einer gesamtgesellschaftlich gerechteren Verteilung, etwa über ein insgesamt gerechteres Steuersystem, gestützt werden. Hierfür ist eine breite gesellschaftliche Debatte erforderlich.
Die Idee der Kindergrundsicherung ist bei ihren Fürsprechern aus Politik und Zivilgesellschaft unmittelbar mit dem Ziel verknüpft, die seit Jahren auf hohem Niveau stagnierende Armut deutlich zu verringern und dabei auch die Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen spürbar zu verbessern. Ihr Erfolg wird sich daher insbesondere daran messen lassen müssen, inwiefern es gelingt, dieses Ziel möglichst umfassend zu erreichen. Aus Sicht des Familienbundes muss dafür als Referenzwert zwingend das sozio-kulturelle Existenzminimum zugrunde gelegt werden, das wiederum regelmäßig anhand gesellschaftlicher Entwicklungen zu überprüfen und gegebenenfalls politisch neu zu definieren und zu berechnen ist.
Für die Einführung der Kindergrundsicherung war eine solche Neudefinition des Existenzminimums vorgesehen. Die politischen Debatten der vergangenen Monate deuten allerdings darauf hin, dass dieses Vorhaben bestenfalls rudimentär umgesetzt werden wird oder sogar ganz entfällt. In jedem Fall ist wohl eher nicht mit einer nennenswerten Anhebung des Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen zu rechnen. Es ist offensichtlich, dass die vom Bundesfinanzminister zuletzt im Haushaltsplan eingepreisten 2 Milliarden Euro keine Anhebung der bisherigen Leistungshöhen zulassen und damit weder eine Verbesserung der Teilhabechancen noch eine stärkere Orientierung am Lebensstandard und Ausgabeverhalten der gesellschaftlichen Mitte erlauben.1 Eine Neuberechnung des Kinderexistenzminimums, die diesen Namen tatsächlich verdient, lässt sich mit diesem Finanzrahmen nicht realisieren. Sollte es sich dabei wirklich nur um einen vorübergehenden Platzhalter handeln, dürfte jedoch auch die zuletzt vom Bundesfamilienministerium von 12 auf 7 Milliarden Euro reduzierte Forderung zu gering ausfallen, um damit spürbare Leistungsverbesserungen erreichen zu können.
Der reduzierte Finanzbedarf wird häufig auf die bereits erfolgte Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro zum Jahr 2023 zurückgeführt, die zumindest einigen in der Regierung als vorweggenommene Teileinführung der Kindergrundsicherung gilt. Dem ist deutlich zu widersprechen. Die Kindergelderhöhung war der zwingend notwendige Inflationsausgleich angesichts eines durch erhebliche Kostensteigerungen gestiegenen Kinderexistenzminimums. Der Anhebung liegt daher gerade keine erhöhte Förderabsicht für Familien zugrunde, sondern sie ist Teil einer verfassungsgemäßen, gerechten Besteuerung, bei der das Existenzminimum für Kinder steuerfrei zu stellen ist, was unterjährig über das Kindergeld zumindest anteilig sichergestellt wird.
Zum knappen vorgesehenen Finanzrahmen kommt hinzu, dass die Definition und Umsetzung des Existenzminimums, die in Form der sozialrechtlichen Regelsätze für Kinder und Heranwachsende auch der Kindergrundsicherung zugrunde liegen werden, erhebliche Defizite aufweist: Nahezu alle Familien- und Sozialverbände, unter ihnen auch der Familienbund, haben diese Mängel wiederholt kritisiert und Veränderungen bei der Methode zur Ermittlung der Verbrauchsausgaben von Haushalten mit geringen Einkommen sowie bei der politischen Überführung in die Regelsätze angemahnt. Dennoch sieht es derzeit so aus, als würden sich diese Defizite nun auch bei der mit hehren Absichten gestarteten Kindergrundsicherung fortsetzen. Aus Sicht des Familienbundes ist das Ausbleiben ernsthafter Reformen bei der Neuberechnung des sozialrechtlichen Existenzminimums für Kinder und Jugendliche ein schwerer Makel der als „wichtigste sozialpolitische Reform“ bezeichneten neuen Leistung Kindergrundsicherung.
Anregungen des Familienbundes:
• Der Familienbund sieht die Neuberechnung sowie methodische Anpassungen bei der Ermittlung des Existenzminimums für Kinder und Jugendliche weiterhin als zwingend an. Er hat dazu an anderen Stellen bereits mehrfach deutlich Stellung bezogen.
• Mit Blick auf eine anhaltende Armutsbekämpfung ist zusätzlich die Abschmelzrate entscheidend. Je geringer diese ausfällt, desto mehr lohnt es sich, trotz staatlicher Unterstützung (weiterhin) einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und diese auszuweiten. Die Abschmelzrate sollte daher möglichst deutlich unterhalb der aktuell beim Kinderzuschlag gültigen Rate von 45 Prozent liegen. Die Zielrichtung sollte eher bei 30 Prozent liegen, das heißt von jedem verdienten Euro könnten rund 65 Cent bei der Familie verbleiben. Harte Abbruchkanten sind unbedingt zu vermeiden.
• Eine spezielle Anrechnung für Familien mit mehreren Kindern ist einer simplen Addition der Abschmelzraten vorzuziehen, um auch in diesen Familien das Erzielen eines zusätzlichen, höheren Erwerbseinkommens attraktiv zu halten und damit die Familie zu unterstützen, möglichst selbständig ihre finanziellen Ressourcen zu verbessern. Mehrkindfamilien zählen neben den Alleinerziehenden zu den am meisten von Armut betroffenen Familien, daher sind deutliche Verbesserungen für diese Familien unerlässlich.2
• Unterhalt und Unterhaltsvorschuss sollten zur zusätzlichen Entlastung Alleinerziehender ebenfalls nur mit der entsprechend festzusetzenden Abschmelzrate auf die Kindergrundsicherung (konkret: auf den Zusatzbetrag) angerechnet werden.
• Ebenso sollte die Chance genutzt werden, den zukünftigen Garantiebetrag als Nachfolger des Kindergeldes systematisch richtig nur noch hälftig auf den Unterhaltsvorschuss anzurechnen und bei Familien im Bürgergeldbezug den Garantiebetrag, der zusammen mit weiteren Leistungen wie z.B. Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss, den sozialrechtlichen Bedarf des Kindes übersteigt, nicht länger bedarfsmindernd den Eltern zuzuschreiben.3
• Generell darf die neue Leistung nicht zu Verschlechterungen gegenüber den aktuellen Regelungen führen. Ziel der Kindergrundsicherung muss eine echte Verbesserung für alle Familien und ihre Kinder sein.

Ziel 2: Mehr Familien und Kinder erreichen

Die bestehenden Instrumente zur Existenzsicherung von armutsgefährdeten Familien und ihren Kindern können Armut derzeit nur ungenügend verhindern. Wesentliche Ursachen hierfür sind, neben den bereits genannten methodischen Mängeln bei der Ermittlung des kindlichen Existenzminimums, die faktisch zu einer systematischen Unterdeckung der existenziellen Bedarfe führen, eine starke Ausdifferenzierung des Hilfesystems, die zu vielfältigen Anlaufstellen, komplexen Antragsverfahren und einer nur schwer zu durchschauenden Verrechnung der verschiedenen Geldleistungen führt. Daraus ergeben sich teils hohe bürokratische Hürden für den (regelmäßigen) Erhalt der zur Existenzsicherung benötigten Leistungen sowie erhebliche Schnittstellenprobleme beim Aufeinandertreffen mehrerer Leistungen. Die Kombination von hohem Aufwand bei unklaren Erfolgsaussichten wirkt sich schließlich negativ auf die Inanspruchnahme der Unterstützungsleistungen aus, zudem sind einige der Leistungen offenbar einigen Familien auch nicht bekannt.
Letztlich hängt vom Grad der Inanspruchnahme die Wirksamkeit bedarfsdeckender Leistungen ab, das zeigt sich insbesondere beim bisherigen Kinderzuschlag.4 Insofern ist es zu begrüßen, dass mit der Kindergrundsicherung die Zugänge zu existenzsichernden Leistungen für Familien durch Bündelung von Leistungen und Anlaufstellen sowie weitgehende Automatisierung verbessert werden sollen. Allerdings bräuchte es dafür nicht zwingend den semantischen „Systemwechsel“ hin zu einer Kindergrundsicherung. Eine beherzte Reform des Kinderzuschlags – aus Gründen der Transparenz auch gern unter diesem Namen – könnte im Grunde die gleiche Wirkung erzielen.
Sollte es tatsächlich gelingen, dass mit der Kindergrundsicherung deutlich mehr Familien als bisher die ihnen zustehenden existenzsichernden Leistungen erhalten, wäre das ein wirklicher familienpolitischer Fortschritt bei der Armutsbekämpfung. Allerdings ist fraglich, ob dieser mögliche Teilerfolg angesichts der Ankündigung einer „Kindergrundsicherung“ die entsprechende Würdigung erfährt. Mit einer sozialpolitischen Reform unter diesem Begriff sind sehr hohe Erwartungen insbesondere an Leistungsverbesserungen und systemische Veränderungen verbunden. Solange Entwicklungen hinter dieser, durch die Begriffsaneignung von der Regierung selbst gesetzten, Ziellinie zurückbleiben, dürfte es schwerfallen, selbst positive Veränderungen unterhalb dieser Schwelle als solche anzuerkennen.
Anregungen des Familienbundes:
• Das Ziel bei der Umsetzung der Kindergrundsicherung muss es sein, Familien und junge Erwachsene bestmöglich über die neue Leistung zu informieren sowie ihnen die Beantragung deutlich zu erleichtern und Hilfestellung dabei zu leisten. Ein verbesserter Zugang setzt daher eine Haltungsänderung der sozialrechtlichen Verwaltungen voraus. Die bisherige Holschuld von Familien muss zur Bringschuld von Ämtern und Behörden werden.
• Dazu gehört, dass alle Familien rechtzeitig vor dem geplanten Start der Kindergrundsicherung über die neue Leistung und deren grundlegende Gestaltung informiert werden. Dabei sollte auch auf die Möglichkeit des sogenannten (digitalen) Kindergrundsicherungschecks hingewiesen werden.
• Im Interesse der Familien sollte eine zentrale Anlaufstelle für die gesamte Kindergrundsicherung angestrebt werden. Sie sollte Familien für Kontakt, Beratung und Hilfe beim Ausfüllen des Antrags dienen und gleichzeitig eine Lotsenfunktion im System der sozialrechtlichen Familienleistungen übernehmen, sowohl für die Familien als auch bei der Zusammenarbeit mit anderen beteiligten Behörden. Die Aufgaben der entsprechenden Behörde gehen damit über die Berechnung und Auszahlung der individuellen Zahlbeträge deutlich hinaus. Diese Herausforderung gilt es bei der Wahl der zuständigen Stelle zu berücksichtigen.
• Die Entscheidung, welche Stelle für die Kindergrundsicherung zuständig sein wird, sollte sich entsprechend nach der fachlichen Expertise, einer guten Erreichbarkeit für Familien (auch für den persönlichen Kontakt) sowie nach einer möglichst einfachen Abwicklung auch bei verschiedenen Leistungsansprüchen richten. Finanzielle Erwägungen oder auch Zuständigkeitsfragen von Bund oder Ländern sollten demgegenüber eine untergeordnete Rolle spielen.
• Eine Aufspaltung der Zuständigkeiten nach Garantie- und Zusatzbetrag gilt es zu vermeiden, ebenso wie den Aufbau von teuren Doppelstrukturen durch die Übertragung von bereits an anderer Stelle kompetent erbrachter Aufgaben zu einer neuen Behörde.
• Bei dem vorgesehenen Rückgriff auf Steuerdaten zur weitgehend automatischen Gewährung der Leistung muss berücksichtigt werden, dass die Angaben aus der Steuererklärung maximal das Vorjahr abbilden, so dass existenziell wirksame Veränderungen wie die Geburt eines (weiteren) Kindes, eine Trennung oder weitere Einkommensveränderungen daraus erst zeitverzögert erkennbar werden. Zudem werden nicht alle Familienhaushalte im Rahmen der Steuer erfasst. Es sollte daher geprüft werden, inwieweit mindestens ergänzend auch auf andere Daten zurückgegriffen werden kann und muss.
• Der Antrag auf Kindergrundsicherung sollte leicht verständlich und möglichst kurz gehalten werden. Mehrsprachige Anträge wären wünschenswert.
• Für neugeborene Kinder sollte die Gewährung des Garantiebetrags möglichst unmittelbar nach der Geburt das Ziel sein. Im Idealfall gelingt dies ganz ohne Antrag, eventuell verbunden mit der automatischen Zusendung der Steuer-ID, mindestens sollte die Beantragung aber so knapp gehalten werden wie aktuell beim Kindergeld.
• Für den Zusatzbetrag wird das Verfahren komplexer sein müssen. Aufwändige Wiederholungs- oder Folgeanträge sind im Interesse der Familien, Kinder und jungen Erwachsenen dennoch zu vermeiden. Abzuwägen ist, inwiefern zur Information der zuständigen Stelle über veränderte Familienstände, Lebenslagen sowie Einkommenssituationen eine regelmäßige Erneuerung des Antrags nötig ist oder ob auf einfache Änderungsmitteilungen ähnlich wie derzeit beim Kindergeld zurückgegriffen werden kann.
• Die vorgesehene Ausdehnung des Bewilligungszeitraums für den Zusatzbetrag auf 12 Monate stellt zwar eine Verdopplung zur aktuellen Regelung beim Kinderzuschlag dar, erscheint aus Familienperspektive, zumal mit mehreren Kindern und dadurch eventuell überlappenden Zeiträumen, jedoch weiterhin recht anspruchsvoll.
• Zu überlegen ist, wann der Zusatzbetrag für junge Erwachsene bis 25 Jahre gewährt wird. Bisher scheint eine Auszahlung nur dann geplant zu sein, solange die erwachsenen (ledigen) Kinder noch im Haushalt der Eltern leben. Es kann jedoch auch nach Auszug noch ein Unterhaltsbedarf bestehen, bspw. aufgrund einer aufgenommenen ersten Ausbildung oder eines auswärtigen Freiwilligendienstes. In diesen Fällen gilt es, den Zugang auch bei getrenntem Haushalt zu ermöglichen und damit eine einheitliche Leistungsgewährung bis zum 25. Lebensjahr sicherzustellen.


Ziel 3: Erleichterungen für Familien, Kinder und Jugendliche

Die vorgesehene Bündelung von Leistungen sowie deren Pauschalierung ist das politische Kernanliegen der geplanten Vereinfachung für Familien. Dieses Vorhaben ist mit Blick auf die gegenwärtige Komplexität des sozial- und familienpolitischen Leistungssystems in jedem Fall unterstützenswert, aber auch nicht unproblematisch. Das im Zuge der Kindergrundsicherung vorgesehene Herausgreifen bestimmter pauschalierbarer Leistungsanteile, wie der Wohnkostenkomponente und dem Betrag für gesellschaftliche Teilhabe, führt gleichzeitig zu einer Auf- bzw. Abspaltung dieser Leitungen. Andere Teilkomponenten, die darüber hinaus zur individuellen Bedarfsdeckung der Kinder und Jugendlichen nötig sind, müssen damit trotz allem zusätzlich beantragt werden, verbunden mit dem Risiko, dass diese Zusatzleistungen aus den unter Punkt 2 genannten Gründen erneut nicht von den Familien beantragt werden. Gleichzeitig droht die Zahl der Schnittstellen bei den Familienleistungen dadurch eher zu steigen als zu fallen. Ähnliches gilt für den Vorsatz, Kinder und Jugendliche möglichst aus dem Wirkungskreis des SGB II (früher Hartz IV, heute Bürgergeld) komplett herauszulösen.
Es bleibt daher eine große politische Herausforderung, das gegenwärtig sehr komplexe Leistungsgefüge zur individuellen Existenzsicherung für Kinder und Jugendliche umzugestalten, ohne dass sich damit neue Probleme ergeben. Hier müssen zu jeder Zeit die Bedürfnisse der Familien und Heranwachsenden der leitende Maßstab sein.
Dass dies nicht durchgängig zu gelingen scheint und dabei teils auch ursprüngliche Ziele der Kindergrundsicherung in den Hintergrund treten, zeigt sich etwa an der geplanten Aufspaltung der Anspruchsinhaberschaft für Garantie- und Zusatzbetrag. Mit der Entscheidung, den Anspruch auf den Zusatzbetrag direkt beim Kind anzusiedeln, soll offenbar verhindert werden, dass die Leistung nach EU-Recht auch Kindern in anderen EU-Staaten gewährt werden muss.5 Im Zuge dessen fällt es allerdings schwer, die Kindergrundsicherung noch als eine einheitliche Leistung zu begreifen. Zusätzlich könnten getrennte Anträge die Folge sein – womit das Ziel der Vereinfachung für Familien konterkariert würde.
Ein weiteres Hindernis deutet sich aufgrund geplanter Neuordnungen im Bereich der Arbeitsförderung an: Wenn für die Stellensuche und Weiterbildungen zukünftig nicht mehr das Jobcenter, sondern die Arbeitsagenturen zuständig sein werden6, heißt das für die betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dass sie damit voraussichtlich eine weitere zusätzliche Stelle aufsuchen müssen. Während die Familienkassen wohl zukünftig für die Existenzsicherung mittels Kindergrundsicherung zuständig sein dürften, die Jobcenter dagegen vermutlich die zentrale Anlaufstelle für mögliche parallele Zusatzbedarfe, etwa aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, bleiben, käme für diese jungen Menschen bereits eine dritte Stelle hinzu für die Beratung und Begleitung bei der Berufswahl. Mit Blick auf weitere Leistungsansprüche oder Beratungsbedarfe könnten noch andere hinzukommen, etwa die Wohngeldstelle oder das Jugendamt.
Es ist daher dringend anzuraten, bei allen Entscheidungen vorrangig die Reduzierung von Komplexität in Form kurzer Wege und zentraler Anlaufstellen für die Familien und jungen Erwachsenen anzustreben. Ideologisch begründete Struktur – und Zuständigkeitsfragen sollten dabei zugunsten eines sachorientierten Lösungsansatzes zurückgestellt werden.
Anregungen des Familienbundes:
• Eine wirkliche Erleichterung für die Familien erfordert in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Bringschuld eine deutlich verbesserte Zusammenarbeit von Ämtern und Behörden. Dies ist insbesondere beim Zusammentreffen von eigenem Einkommen der Familien wie Heranwachsenden mit einem (anteiligen) Anspruch auf den Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung der Fall.
• Dazu gehört in erster Linie, die Möglichkeit zum Austausch von Daten auszubauen. Statt Informationen und Nachweise immer wieder neu von den Familien zu erfragen, sollten diese sachbezogen zwischen den Ämtern und Behörden angefragt und möglichst unkompliziert weitergegeben werden. Dafür müssten allerdings die erforderlichen rechtlichen wie technischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, wofür eine angemessene Vorbereitungszeit vorzusehen ist.
• Die Anforderungen des Datenschutzes sollten dabei im Interesse der Beteiligten an einer leichteren Leistungsgewährung ausgelegt werden und den nötigen Ämter- und Datenaustausch nicht grundlegend hemmen. In jedem Fall ist für Datenabfragen die Zustimmung der betroffenen Personen einzuholen. Dabei ist darauf zu achten, die Familien leicht verständlich darüber aufzuklären, was zu welchem Zweck abgefragt wird und welche Vorteile für sie damit einhergehen, da anderenfalls die Sorge vor staatlicher Kontrolle oder Leistungskürzungen überwiegen könnte.
• Die bisherige Überlegung, den Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung als nachrangige Leistung auszugestalten, erscheint zumindest fragwürdig. Bei dieser Regelung müssen seitens der Familien trotz erfolgreichem Kindergrundsicherungscheck zunächst andere Leistungen beantragt werden, wie etwa Unterhaltsvorschuss oder BaföG. Dies erscheint als Widerspruch zum Ziel der geplanten Vereinfachung für Familien.
• Wenn im Rahmen der Kindergrundsicherung weitere Ämter und Behörden beteiligt werden, sollte dies weitgehend unsichtbar für die Familien erfolgen. Für eine spürbare Vereinfachung muss mindestens nach außen hin die Kindergrundsicherung als eine einheitliche Leistung erbracht werden.
• Bestehende Schnittstellen zwischen Kinderzuschlag, BuT-Leistungen, Unterhalt und Unterhaltsvorschuss, Wohngeld, Kindergeld und Bürgergeld sollten bei der Konzeption der neuen Leistung harmonisiert und möglichst vereinfacht werden. Dazu gehört nicht zuletzt die Angleichung der unterschiedlichen Altersstufen in den verschiedenen Leistungsbereichen. Neue Schnittstellen und daraus resultierende Probleme gilt es im Sinne der Vereinfachung zu vermeiden.
• Auch die Digitalisierung der Antragstellung kann zu einer besseren Inanspruchnahme der Leistung führen, da sie eine zeitlich und örtlich flexible Antragstellung erleichtert und zusätzlich digitale Ausfüllhilfen möglich werden. Die Digitalisierung des Verfahrens ist jedoch für sich genommen nicht hinreichend für eine maßgebliche Erleichterung, sondern muss durch weitere hier genannte Maßnahmen ergänzt werden. Gleichzeitig müssen immer auch analoge Zugänge für Beantragung und Beratung zur Kindergrundsicherung gewährleistet sein.


Schlussbemerkung

Angesichts der wachsenden Tendenz zur Individualisierung auch in der Familienpolitik, die sich bei der Kindergrundsicherung nicht nur im Namen sondern teilweise auch in den bisher bekannten Plänen zur Ausgestaltung wiederfindet, weist der Familienbund darauf hin, dass Kinder in aller Regel finanziell arm sind, weil sie in armen Familien leben. Oder im Fall junger Erwachsener aus armen Familien stammen. Diesen Zusammenhang gilt es gerade mit Einführung der Kindergrundsicherung weiter im Blick zu behalten. Denn Maßnahmen, die einzelne Familienmitglieder bei der Existenzsicherung herausgreifen, laufen Gefahr, Wechselwirkungen in Familien zu verdecken oder andere unmittelbare Familienmitglieder als Adressat politischer Armutsbekämpfung in den Hintergrund geraten zu lassen. Es muss deutlich bleiben, dass zuerst die Eltern und Familien für die Unterhaltsbedarfe der Kinder zuständig und daher entsprechend zu stärken und zu befähigen sind. Eine grundsätzliche staatliche Zuständigkeit für die Existenzsicherung von Kindern an den Familien vorbei lehnt der Familienbund ab.
Die Einführung der Kindergrundsicherung darf nicht zu einem Selbstzweck werden. Aktuell entsteht stellenweise der Eindruck, dass fehlende Verbesserungen auf der Sachebene durch symbolische Veränderungen auf der begrifflichen oder der Verwaltungsebene kaschiert werden sollen. Der Erfolg der Kindergrundsicherung bemisst sich jedoch nicht am Grad an Veränderungen, sondern daran, wie gut es gelingt, die damit verbundenen sozialpolitischen Ziele in der Praxis zu erreichen. Sinnvoll ist sie also nur dann, wenn sie insbesondere für armutsgefährdete Familien und Kinder maßgebliche Verbesserungen bringt. Die Bedarfe eben jener Familien, Kinder und Jugendlichen müssen daher stets im Vordergrund stehen. Dabei gilt es, die Kindergrundsicherung hinsichtlich Funktion, Zuständigkeit und Abwicklung so auszugestalten, dass - da von einer spürbaren Leistungsverbesserung derzeit nicht auszugehen ist - zumindest die selbstgesetzten Ziele des erleichterten Zugangs und einer Vereinfachung der Antrags- und Bewilligungsprozesse bestmöglich erreicht werden.
Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass Familien nicht nur finanzielle Leistungen benötigen, sondern auch ein Bedarf an unterstützender Infrastruktur und Zeitoptionen im Lebensverlauf besteht. Eine ausreichende Finanzierung und Qualitätssicherung dieser Angebote bleibt daher im Interesse aller Familien und muss auch nach Einführung der Kindergrundsicherung gewährleistet sein.
Berlin, Juli 2023
Familienbund der Katholiken
Ansprechpartner: Ivonne Famula, Matthias Dantlgraber

1 Im Haushalt für 2023 waren Ausgaben in Höhe von ca. 1,87 Mrd. Euro für den Kinderzuschlag in Höhe von max. 250 Euro eingestellt. Legt man eine aktuelle Inanspruchnahme von rund 35 Prozent aller berechtigten Familien zugrunde (laut Schätzung von 2018), entstünden bei der angestrebten Ausweitung der Inanspruchnahme auf mindestens 90 Prozent bereits Mehrausgaben in Höhe von ca. 4,8 Mrd. Euro. Dabei sind weder Leistungserhöhungen noch zusätzliche Verwaltungskosten durch Umstrukturierungen einberechnet.

2 Die Armutsquote liegt bei Mehrkindfamilien nach Daten des Mikrozensus von 2018 bei 30 Prozent, bei Alleinerziehenden bei 41,5 Prozent. Das Armutsrisiko in der Gesamtbevölkerung liegt dagegen bei 15,5 Prozent. Vgl. Neunter Familienbericht. Eltern sein in Deutschland, 2021.

3 Die Unterhaltsleistungen dienen neben der reinen Existenzsicherung auch dazu, das Kind am Lebensstandard des anderen Elternteils teilhaben zu lassen. Bei einer Verrechnung wird dieses Prinzip unterlaufen, zudem werden mit den für das Kind bestimmten Unterhaltsleistungen andere Personen der Bedarfsgemeinschaft finanziert.

4 Es wäre daher eine positive Veränderung der Lebenssituation vieler Familien und Kinder, wenn zukünftig deutlich mehr Familien erreicht werden, als dies bisher etwa mit dem Kinderzuschlag der Fall ist. Auch wenn die aktuell kursierende Zahl von rund 65% an Familien, die theoretisch einen Anspruch auf diese Leistung hätten, den Kinderzuschlag aber nicht beantragen oder erhalten, ein Schätzwert aus dem Jahr 2018 ist, der die letzte Reform der Großen Koalition nicht berücksichtigt: es dürfte politisch unumstritten sein, dass gerade der Kinderzuschlag, der im Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung aufgehen soll, weiterhin komplex und bei der Armutsbekämpfung unter den Erwartungen geblieben ist.

5 Dies ist im Rahmen der Freizügigkeitsregelungen und der angestrebten Gleichbehandlung der Fall, sofern die Eltern anspruchsberechtigt sowie hierzulande aufenthaltsberechtigt und steuerpflichtig sind (EU-Verordnung 883/2004). Rechtlich bindend ist die Übertragbarkeit beim Kindergeld, zu erwarten wäre eine gleichlautende juristische Entscheidung auch für den Kinderzuschlag, der mit dem Zusatzbetrag ersetzt werden soll. Ein Anspruch des Kindes fällt nicht direkt unter die Gleichbehandlung und könnte damit gegebenenfalls eine Leistungsgewährung an Kinder in anderen EU-Ländern vermeiden.

6 Siehe Pressemeldungen zur Änderungen der Betreuung von jungen Arbeitssuchenden, z.B. Süddeutsche Zeitung vom 07.07.2023 https://www.sueddeutsche.de/politik/jobcenter-arbeitsagenturen-lindner-s... oder Spiegel.de vom 20.07.2023 https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hubertus-heil-will-bei-jungen...